Sonderwochengeld

Hast du schon mal von der “Wochengeldfalle” gehört?
Bis zur Einführung des Sonderwochengeldes hatten Mütter, die sich in Karenz befanden, aber kein Kinderbetreuungsgeld mehr bezogen haben, keinen Anspruch auf Wochengeld (= Geldleistung 8 Wochen vor der Geburt und bis zu 8 oder 12 Wochen nach der Geburt) für ein weiteres Kind. Ein Anspruch auf Wochengeld in solchen Konstellationen war nur gegeben, wenn die Schutzfrist (= 8 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin) für das weitere Kind noch in den Bezugszeitraum des Kinderbetreuungsgeldes für das vorherige Kind fiel. Dies führte dazu, dass sehr viele Mütter, die kurze Kinderbetreuungsgeldvarianten gewählt hatten, für das weitere Kind keinen Anspruch auf Wochengeld hatten. Dieses „Phänomen“ wurde in der Praxis bezeichnenderweise „Wochengeldfalle“ genannt.

Im Jahr 2022 hat der OGH aufgrund eines von der Gewerkschaft GPA Steiermark geführten Rechtsfalles entschieden, dass die bestehende Rechtslage der „Wochengeldfalle“ unionsrechtswidrig ist und gegen die Mutterschutz-RL 92/85/EWG verstößt. Dieses Urteil wurde zum Anlass genommen, um nun das Sonderwochengeld einzuführen.

Nunmehr haben alle Mütter einen Anspruch auf Sonderwochengeld, wenn eine gesetzliche Karenz aufgrund der Elternschaft vorliegt und kein Anspruch auf Wochengeld besteht.

Ein weiterer Anwendungsfall besteht für jene, die kürzer in der gesetzlichen Karenz bleiben, die Arbeit in Teilzeit schnell wieder aufnehmen und die Schutzfrist für das weitere Kind noch in der gesetzlichen Karenz für das vorherige Kind eintritt. Ist deren Wochengeld aufgrund der Teilzeit nunmehr niedriger als beim vorherigen Kind, besteht auch hier ein Wochengeldanspruch in der Höhe des Sonderwochengeldes.

Ebenso auch für Mütter, die nach Ende der gesetzlichen Karenz innerhalb von drei Monaten in die Schutzfrist für das weitere Kind gehen, aber karenzbedingt keinen durchgehenden Arbeitsverdienst aufweisen können.

Auch Selbstversicherte nach § 19 a ASVG haben Anspruch auf Sonderwochengeld nach einem fixen Satz.

Der Anspruch auf Sonderwochengeld besteht grundsätzlich 8 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin und 8 oder 12 Wochen nach der Geburt. Auch Mütter, die sich im vorzeitigen Mutterschutz (individuelles Beschäftigungsverbot) befinden, haben einen Anspruch auf Sonderwochengeld, wenn die sonstige Voraussetzung erfüllt sind.

Das Sonderwochengeld gebührt in der Höhe des erhöhten Krankengeldes, als Bemessungsgrundlage wird der letzte Arbeitsverdienst vor der Karenzierung herangezogen. Während dem Bezug des Sonderwochengeldes besteht eine Teilversicherung in der Krankenversicherung und in der Pensionsversicherung.

Das Gesetz tritt rückwirkend mit 01.09.2022 in Kraft. Bis 30.06.2025 können alle betroffenen Eltern, die vor der Kundmachung dieser gesetzlichen Regelung im Mutterschutz waren, aber kein Wochengeld beziehen konnten (=Wochengeldfalle) oder einen Anspruch auf Nachbemessung haben, Anträge auf Auszahlung des Sonderkrankengeld bei der Krankenversicherung stellen.

Information von der GPA

Nachtarbeitsbereitschaft im Sozialbereich

Ein Artikel von Sebastian Panny im Moment.at am 30.04.2024

Nachtarbeitsbereitschaft im Sozialbereich: Wenn Arbeitszeit einfach verschwindet

Früher konnte man bei der Nachtarbeitsbereitschaft im Sozialbereich oft durchschlafen – mittlerweile ist das nur mehr selten der Fall

Stell dir vor, du bist acht Stunden in der Arbeit, dir wird aber nur die Hälfte davon angerechnet oder bezahlt. Klingt absurd? Für viele Menschen im Sozialbereich ist das Normalität. Grund ist die Nachtarbeitsbereitschaft – und Regelungen, die kaum jemand versteht.

Verena Rauch hat in einer Einrichtung für wohnungslose Frauen der Caritas Wien gearbeitet. Von 20:00 bis 24:00 Uhr war ihr Arbeitsablauf klar geregelt: Abwaschdienste klären, Alkoholtests machen, Bürokratie erledigen, die Nachtrunde drehen.

Ab Mitternacht war es vorbei mit den geplanten Abläufen. Aufgeweckt wurde Rauch immer wieder – auch wenn die Gründe oft nicht gravierend waren: “Manche konnten einfach nicht schlafen und haben deswegen angeklopft. Dann machst du einen Kamillentee, plauderst kurz und legst dich dann wieder nieder.” Dennoch kosten auch solche Unterbrechungen Schlaf.

Genauso häufig waren es aber akute Krisensituation. Bei denen musste sie externe Hilfe wie Polizei, Rettung oder Psychosozialen Notdienst hinzuziehen. “Da kommt es schon vor, dass man einfach die ganze Nacht durcharbeitet”, sagt Rauch.

Nachtarbeitsbereitschaft: “Der nächste Tag ist einfach im Oasch”

Man wisse einfach nicht, worauf man sich in der Nacht einstellen könne. Und das führe dazu, dass der Tag darauf sehr schwierig sei. Oder wie es einer unserer Gesprächspartner formuliert: “Der nächste Tag ist einfach im Oasch. Es ist nicht mehr wie früher, wo man fast immer durchschlafen konnte.”

Dienste in der Nacht sind in jeder Sozialeinrichtung anders. Was die “Nachtarbeitsbereitschaft” aber eint: Die Arbeit ist herausfordernd und anstrengend, geregelter Schlaf selten.

Und doch wandern solche Nächte bei vielen Betreibern nicht zur Gänze auf das Stundenkonto. Die Hälfte der Stunden wird erfasst, die andere nicht. Um das Stunden-Soll zu erfüllen, muss man an anderen Tagen arbeiten. Bei der Caritas sieht das so aus: ”Von den 8 Stunden der Nacht (22.00 Uhr bis 06.00 Uhr) werden im Regelfall 4 Stunden bezahlt” steht im Kollektivvertrag. In der Praxis heißt das: Die anderen vier Stunden werden nicht nur nicht bezahlt, sondern auch nicht als Zeit gezählt. Für solche Dienste gibt es zusätzlich einen Pauschalzuschlag von knapp 24 Euro.

Geld zurück nach der Kündigung

Nach sechs Jahren hat Rauch bei der Caritas gekündigt. Danach wollte sie zumindest ein kleines Zeichen setzen. Sie forderte mit Unterstützung der Arbeiterkammer Stunden ein, die sie geleistet, aber nicht gezählt bekommen hatte. Rauch war für 20 Stunden angestellt, anwesend war sie durchschnittlich aber 25. “Wer 40 Stunden arbeitet, ist tatsächlich manchmal bis zu 60 Stunden in der Arbeit“, sagt sie.

Zu einem Verfahren kam es nie. Die Stunden, die sie nachweisen konnte, bezahlte die Caritas. Der Betrag war niedrig, es ging nur um einen Durchrechnungszeitraum von drei Monaten. Etwa 320 Euro hat Rauch nachträglich erhalten, als Schuldeingeständnis für ein Fehlverhalten der Caritas gilt das nicht.

Ich habe viele verzweifelte Menschen erlebt

Um das Geld ging es Rauch nicht wirklich. Sondern um Gerechtigkeit und Transparenz: Gerade Anfänger:innen könnten oft nicht wissen, worauf sie sich einließen. Rauch war auch Betriebsrätin. Neue Kolleg:innen seien regelmäßig nach ihrem ersten Monat zu ihr gekommen und hätten ihr Leid geklagt. “Ich habe in meiner Arbeit viele verzweifelte Menschen erlebt, die nicht mehr wussten, wie sie ihr Privatleben organisieren sollen,” sagt sie. Erst nach und nach wurde ihnen klar, dass sie länger arbeiten müssen, als in ihrem Vertrag steht.

Mehr Zeit in der Arbeit verbringen zu müssen, als im Arbeitsvertrag steht, macht den Beruf natürlich nicht attraktiver. “Viele Kolleginnen haben sehr früh einen Aha-Moment. Sie haben vielleicht eine 20-Stunden-Woche und glauben, dass mit zwei Nachtdiensten schon 16 Stunden davon erledigt sind”, sagt Nina Zechner, aktive Betriebsrätin bei der Caritas Wien. Doch von den 16 Stunden wandern eben nur acht aufs Zeitkonto.

“Das ist doch eigentlich ein Wahnsinn!”

Klar festgeschrieben ist das mit den nicht eingetragenen Stunden nirgends. Gehandhabt wird es aber eigentlich immer schon so. Das Thema begleite den Betriebsrat auch schon sehr lange, so Zechner. “Wenn ich mir vorstelle, dass ich einen Dienstvertrag unterschreibe und dann draufkomme, dass ich in der Realität das Doppelte leisten muss – das ist doch eigentlich ein Wahnsinn!” Warum stellt man sich dann nicht auf die Füße und kämpft gegen diese Praxis?

“Man darf nicht vergessen, welche Konsequenzen das nach sich ziehen könnte. Das würde bei einigen Kolleg:innen Unmut auslösen”, sagt Zechner. Es klingt absurd, aber: Würden alle Stunden in der Nacht gezählt, verdienten manche weniger.

Denn Mitarbeiter:innen bekämen dadurch die Nacht-Pauschale seltener. Ein Beispiel: Wer nur Nachtarbeitsdienste leistet, bräuchte aktuell fünf Dienste, um auf 20 Stunden zu kommen. Bei einer Umstellung wären es nur mehr 2,5 Dienste – damit aber auch nur 2,5 Pauschalzahlungen, die bei Nachtdiensten anfallen. Und einige der geleisteten Stunden wären dann unbezahlt. Damit Mitarbeiter:innen genauso viel verdienen wie vorher, müssten die Stunden im Arbeitsvertrag angepasst werden. Das würde auch die Realität besser abbilden.

Nachtarbeitsbereitschaft ist eine vage Regelung, die nirgends klar festgeschrieben ist. Sie sorgt für Verwirrung – und es geht nicht nur den Beschäftigten bei der Caritas so, die einen eigenen Kollektivvertrag haben.

Nachtarbeitsbereitschaft: Es ist kompliziert – egal wo man arbeitet

“Ich finde einfach nur schäbig, wie man uns behandelt”, erzählt Hubert*. Er habe mitbekommen, dass MOMENT.at über das Thema berichtet und sich deswegen gemeldet. Hubert war früher Handwerker, arbeitet aber seit etwa zehn Jahren in der Behindertenbetreuung.

Der Umstieg war schwierig. Die Arbeit liebt er. “Aber die Behandlung ist furchtbar“, sagt Hubert. Die Belastung sei enorm, besonders bei Nachtdiensten. Man brauche fast immer einen Tag, um sich zu erholen. Auf Dauer sei das schwer auszuhalten. Am Personalstand merk man es. In seinem Team arbeite sonst niemand seit mehr als zwei Jahren.

Seit Beginn des Jahres bekommt etwa Hubert jeden Monat um 150 Euro weniger. Wegen des neuen Kollektivvertrages der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ) werde nur jeder sechste Nachtdienst voll bezahlt. Das denkt er zumindest.

Plötzlich bekommt Hubert 150 Euro weniger

Sein Fall zeigt, was das Thema so schwierig macht. Auch bei der SWÖ ist die Regelung zur Nachtarbeitsbereitschaft umstritten, Angestellte und Arbeitgeber:innen blicken selbst oft nicht durch. “Alle machen es irgendwie unterschiedlich. Teilweise gibt es innerbetriebliche Lösungen, die gesetzeswidrig sind. Ich kenne ehrlich gesagt kaum eine Regelung, die wirklich sauber ist”, sagt David Rhemann. Er ist Betriebsrat im Verein GIN (Gemeinwesenintegration und Normalisierung) und Mitglied der „Vernetzung der Betriebsräte in Organisationen des Wiener Behindertenbereichs“. Die Vernetzung hat sich vor der letzten KV-Verhandlung besonders dafür eingesetzt, dass bei der Regelung zur Nachtarbeitsbereitschaft etwas verändert wird. Das hat sie eigentlich auch geschafft. Warum kriegt Hubert jetzt trotzdem weniger?

Als ihm MOMENT.at von Huberts Beschwerde erzählt, errät Rhemann gleich, bei welchem Träger dieser arbeitet. Und stellt klar: Hubert würde nicht wegen des neuen Kollektivvertrags weniger verdienen – sondern weil sich der Betriebsrat seiner Organisation auf eine eigene Regelung geeinigt habe. Und die fällt für Hubert schlechter aus.

Weniger Stunden, weniger Gehalt – oder beides?

Um die Regelung im SWÖ gibt es seit langem Streit, Verhandlungen, versuchte Klarstellungen und Gutachten um Gutachten, wie alles zu verstehen sei. Laut Kollektivvertrag gilt: Die Nachtarbeitsbereitschaft wird zu 50 Prozent abgegolten. Zwar wurde im Gegensatz zur Caritas klargestellt, dass die Nachtarbeitsbereitschaft komplett als Arbeitszeit zählt. Tatsächlich macht es aber jeder Betrieb anders. Denn wie genau diese Abgeltung von 50 Prozent stattdessen verrechnet werden soll, ist unklar. Und so verschwinden auch hier die Stunden für manche weiterhin.

Mit dem neuen Kollektivvertrag gibt es zumindest eine kleine Verbesserung: Zwei Stunden pro Nacht werden automatisch voll abgegolten. “Wie sich das auf die Menschen auswirkt, ist aber auch wieder ganz unterschiedlich”, sagt Rhemann. Es ist eine kleine Lösung, die nicht unbedingt zu weniger Verwirrung führen wird.

Ein Satz könnte reichen

Verwirrung und Unklarheit sind es, die alle unsere Gesprächspartner:innen kritisieren – egal in welchem Bereich und unter welchem Kollektivvertrag. Das Beispiel von Hubert zeigt eindrücklich: Die tatsächlichen Gründe für ihre Probleme sind Mitarbeiter:innen oft gar nicht mehr klar. Und bei dem Wirrwarr ist das verständlich.

“Die aktuelle Regelung ist natürlich nicht gut. Es braucht klare Transparenz. Die Menschen müssen wissen, worauf sie sich einlassen”, sagt auch Caritas-Betriebsrätin Zechner. Sie schlägt einen zusätzlichen Satz im Kollektivvertrag vor, der ganz einfach für Klarheit sorgen würde: In der Zeiterfassung werden alle Bereitschaftsstunden zur Gänze erfasst. 

Die Caritas hüllt sich in Schweigen

Was sagt die Caritas zu dem Vorschlag und zum Thema Nachtarbeitsbereitschaft? Nicht sonderlich viel. Sie verweist darauf, dass die Regelung ähnlich wie bei der SWÖ ausfalle und somit in beiden Fällen ähnlich viel bezahlt würde. Zudem gebe es im aktuellen Kollektivvertrag eine Verbesserung bei der Arbeitsaufnahme im schlafenden Nachtdienst. Fragen zu den nicht gerechneten Arbeitsstunden oder einer möglichen Verbesserung wurden nicht beantwortet.

Auch für Verena Rauch geht es um Klarheit. Mit einer Änderung würde man ganz deutlich sehen, für wie wenig Geld die Leute wirklich arbeiten würden. “Man muss den Sozialbereich stabilisieren. Und eine Möglichkeit ist das Arbeitsrecht”, sagt Rauch.

Darunter würden aktuell nämlich nicht nur die Angestellten leiden: “Ich war lange in der Caritas aktiv. Die fehlende Durchsetzung von Arbeitsrechten führt zu frustrierten und überarbeiteten Kolleg:innen. So ist es einfach kein guter Ort für Klientinnen mehr.”